Wahnsinn.
Einer meiner Freunde sieht sich nach einem neuen Job um und was da abgeht, ist jenseits von Gut und Böse.
Zunächst einmal die Ausgangslage:
Er arbeitet in der IT Branche, wo Mitarbeiter händeringend gesucht werden.
Er hat sowohl Top-Qualifikationen wie auch Arbeitszeugnisse.
Er hat erfolgreiche Führungserfahrung (und Führungstraining), hat aber auch kein Problem damit als Senior Entwickler zu arbeiten. Ist also vielseitig einsatzbar.
Sieht man sich den aktuellen Markt für solche Personen an, müsste man ihm eigentlich die Tür einrennen. Geschieht grundsätzlich auch, aber wie das geschieht….
Hier sind ein paar seiner Erfahrungen, mach dir selbst ein Urteil.
Fehler im Recruiting 1: Gesprächspartner kennt sich nicht aus
Bewerbungsgespräch mit dem Geschäftsführer.
Er stellt aber weder sich, noch das Unternehmen vor, sondern eröffnet mit „Erzählen Sie etwas von sich“.
Also die ganze Litanei wiederholen, die man schon dem Recruiter erzählt hat, der stillschweigend daneben sitzt.
Fragen wie vor 20 Jahren: „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ „Was ist eine Situation, auf die Sie stolz sind?“
Frage-und-Antwort-Spiel, wobei der Bewerber defacto keine Fragen stellen durfte. Am Schluss ist er dann doch einmal zum Zug gekommen, um auch für ihn wesentliche Dinge zu hinterfragen.
Das wurde jedoch peinlich.
Auf die Frage „Was mache ich genau in der Rolle? Wie sieht mein tägliches Aufgabengebiet aus?“ gabs nur betretenes Schweigen. Das könne man so nicht beantworten, man ist ja selbst nicht so in der Technik drinnen und es ist auch leider gerade keiner verfügbar, der das erklären könnte.
Es ist nicht klar, welcher KV zu Anwendung kommt, wie die Zeitregelung aussieht und ja Home Office ist absolut in Ordnung. Ein Tag ist überhaupt kein Problem, über einen zweiten muss man halt reden…
Lustige Info dazu: Es wird ein neues Team aufgebaut und der Bewerber sollte der Startpunkt für den Aufbau sein und auch die Führung übernehmen. Bisherige Teams sitzen in Spanien und Lichtenstein – also Kommunikation ohnehin nur via Video.
Er dürfte also allein im Büro sitzen um mit denen zu kommunizieren, vom Home Office aus ginge das nicht…
Fehler im Recruiting 2: Chaos pur
Ein Unternehmen vermittelt einen unglaublichen Stress, eine Stelle zu besetzen. Der Bewerber wird proaktiv angeschrieben und es wird auch vorab auf Gehaltswünsche eingegangen. Dann auf einmal Stillschweigen.
Zwei Wochen später meldet sich jemand. Auf welche Stelle hatte er sich denn beworben? Weil es gäbe vier Stellen für die er in Frage kommen würde und die Information ist intern verloren gegangen.
Er gibt die Stelle bekannt.
Ja da bräuchte man dringend jemand. Man meldet sich retour. Drei Wochen später keine Rückmeldung.
Fehler im Recruiting 3: Es wird kein Mitarbeiter, sondern eine ganze Abteilung gesucht
Bewerbungsgespräch auf eine ausgeschriebene Stelle. Die Stelle beschreibt nur, mit welchen Technologien das Team arbeitet. Das sind aber unzählig viele verschiedene technische Anforderungen, die eben einer gesamten IT-Abteilung entsprechen und nicht einer einzelnen Person.
Auch hier wurde die Frage gestellt: „Wie sieht meine tagtägliche Arbeit aus? Was soll ich konkret erfüllen? Welche Herausforderungen kommen auf mich zu?“
Und wie auch bei dem anderen Unternehmen gab’s auch hier keine Antwort darauf. Das wisse man jetzt konkret nicht. Man könne das aber für das nächste Mal in Erfahrung bringen. Aber er beherrsche doch die Anforderungen?
„Welche davon?“ -> „Nun ja, alle?“
Sorry, aber was hier gesucht wird ist kein Mitarbeiter, sondern eine ganze Abteilung.
Und wie will man feststellen, ob er sich für „das nächste Mal“ eignet, wenn sie keine Ahnung, was konkret gebraucht wird?
Fehler im Recruiting 4: Bewerber brauchen sich nicht rechtfertigen
„Rechtfertigen Sie Ihr Gehalt!“
Beim nächsten Bewerbungsgespräch wurde bereits vorab kommuniziert, dass er sein Gehalt rechtfertigen solle (jenes, das er beim aktuellen Arbeitgeber verdient).
Seine trockene Antwort: „Ich rechtfertige gar nichts. Aber ich möchte Sie informieren, dass ich mein aktuelles Gehalt erhalten habe, ohne je um eine Gehaltserhöhung zu fragen. Meine Arbeitgeber haben es mir freiwillig gezahlt. Ich denke, das beantwortet die Frage am besten.“
Und das war der Einstieg ins Gespräch.
Ich glaube viele Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass ein Bewerbungsgespräch ein Gespräch auf Augenhöhe ist. Egal ob man mit dem zukünftigen Chef spricht oder nicht.
Das Unternehmen möchte etwas, der Bewerber auch. Wenn es für beide Seiten passt, arbeitet man zusammen, sonst nicht.
Wer gleich von oben herab das Gespräch startet, wird die besten Bewerber gleich von Beginn an vergraulen….
Fehler im Recruiting 5: Sinnlose Fragen
Das viele Fragen keinen oder wenig Sinn machen, haben wir bereits vorher gesehen.
Eine der Fragen, die dafür sorgt, dass mein Freund innerlich die Augen verdreht ist folgende: „Warum wollen Sie für uns arbeiten?“
Der Klassiker anscheinend. Bei jedem zweiten Gespräch wird er das gefragt.
Gleichzeitig sind die Stellenanzeigen und auch Firmenwebsites teilweise so undurchschaubar, dass, selbst wenn er wollte, keine Antwort geben darauf kann.
Seine Antwort mittlerweile: „Das versuche ich gerade rauszufinden.“
Dann ist der Gesprächspartner meistens paff.
Was ich witzig finde. Warum ist man darüber überrascht?
Schließlich merkt man ja, dass die Bewerber einen nicht die Tür einrennen und sich oftmals wochenlang niemand auf eine offene Stelle bewirbt. Und trotzdem glaubt man, dass der Bewerber „dankbar“ sein muss, dass er den Job bekommt?
Und noch eine tolle Frage die gestellt wurde:
„Warum sind Sie, nachdem sie eine Führungsposition erreicht haben, bereit, wieder auf eine „normale“ Entwicklerposition zurückzukehren?“
Wenn du den Pöbel hinter dir gelassen hast, warum gehst du freiwillig wieder zurück?
Die Frage macht die Stelle (keine Führungsposition) natürlich wesentlich attraktiver, oder nicht?
Das waren nur ein paar Beispiele. Es folgen sicher noch weitere Anekdoten. Vielleicht mache ich einen Teil zwei.
Quintessenz für mich ist, dass sich niemand wundern darf, dass er keine Leute findet, wenn Unternehmen solche Recruiting-Prozesse an den Tag legen.
Deshalb trainiere ich seit Tag 1, dass die Auswahl und Gewinnung der richtigen Mitarbeiter die Aufgabe der jeweiligen Führungskraft ist.
Klar bekommt sie Unterstützung von HR bei der Schaltung der Anzeigen und bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen, usw.
Aber der Kern der Aufgabe liegt bei der Führungskraft, für die der neue Mitarbeiter arbeiten soll.
Nur sie weiß wirklich, wenn sie für die Stelle braucht – fachlich, wie menschlich.
Oder sie weiß es selbst nicht. Den das Tragische ist, dass viele Führungskräfte gar keine Ahnung haben, wen sie suchen. Und dann findet man auch niemand. Oder die falschen.
Aber das ist ein anderes Thema. Ich schüttle noch immer den Kopf über soviel Unprofessionalität und warte bereits auf die nächste Anektode.
– Autor –
Stefan Delano
Gründer von
Delano Training, Coaching & Consulting