Ich bin Nichtraucher und ich möchte, dass das Restaurant und das Lokal, das ich mit meinen Freunden besuche, rauchfrei ist. Trotzdem bin ich vehement gegen ein totales Rauchverbot. Warum? Es widerspricht meinem Verständnis von Fairness und freiem Willen – wie komme ich dazu, jemandem vorzuschreiben, dass er beim Bier mit Freunden nicht rauchen mehr darf?

Gut, die bisherige Lösung mit einem abgetrennten Raucherbereich war zu 99% fruchtlos, denn es gab kaum Lokale wo nicht geraucht wurde. Aber deshalb gleich ein totales Rauchverbot auszusprechen, finde ich ebenfalls nicht in Ordnung. Dabei gäbe es wesentlich bessere Lösungen. Unter „besser“ verstehe ich, dass der Großteil der Lokale rauchfrei ist, es jedoch nach wie vor die Möglichkeit gibt, auch beim Fortgehen ein Raucherlokal zu finden. Zu den möglichen Lösungen und dem Für und Wider kommen wir allerdings später.

Lassen wir uns zunächst einmal den Kern dieses Artikels beschreiben: Entscheidungsarchitektur (EA).

 

Was ist Entscheidungsarchitektur?

Entscheidungsarchitektur ist die Wissenschaft der Gestaltung von Entscheidungsverfahren und welchen Einfluss unterschiedliche Parameter von Entscheidungsverfahren auf deren Ergebnis haben. So hat zum Beispiel die Reihung von Fragen einen Einfluss darauf, welche Entscheidung Sie treffen. Oder die Frage, ob es eine Standardauswahl gibt (die Entscheidung die für Sie gewählt, wird, wenn Sie aktiv keine Entscheidung treffen) und welche Option dies ist.

Weiters ist Ihre Entscheidung unter anderem davon abhängig, was Sie meinen, dass ihre Mitmenschen entscheiden werden. Es gibt unzählige Faktoren, die Ihre Entscheidung beeinflussen können, ohne dass Sie sich dessen bewusst sind. Das schreit jetzt nach Manipulation. Ist es auch. Das muss allerdings nicht immer etwas Schlechtes sein.

Man kann Entscheidungsarchitektur auch für die Vorteile aller einsetzen. So kann eine vernünftige Entscheidungsarchitektur in Unternehmen dazu führen, dass Mitarbeiter sich gesünder ernähren, mehr Geld sparen oder sich öfter weiterbilden. In der Gesellschaft kann sie sogar Leben retten.

 

Eine vernünftige Entscheidungsarchitektur berücksichtigt dabei zwei wesentliche Aspekte:

    • Sie beeinflusst die betroffenen Personen dazu, eine bessere Entscheidung für sich und die Gesellschaft bzw. für sich und das Unternehmen zu treffen (zum Beispiel sich gesünder zu ernähren, ausreichend zu sparen).
    • Sie respektiert die Wahlfreiheit bezüglich der Entscheidung und deren Umsetzung. Es ist für die betreffende Person einfach und ohne große Kosten möglich, eine andere Entscheidung zu treffen.

Damit Sie nachvollziehen können, wie so etwas in der Praxis aussieht, sehen wir uns vernünftige Auswahlarchitektur am Beispiel der Organspenden an.

 

Unterschiedliche Entscheidungsarchitektur bei Organspenden und deren Konsequenzen

In der westlichen Welt sterben ca. 60-70% der Menschen, die auf einer Organwarteliste eingetragen sind, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ erhalten. Die Wartenden kommen dabei aus jeder Einkommens- und Altersschicht. Organe dürfen, mit Ausnahme von Nieren, nur von gehirntoten oder toten Menschen entnommen werden, sofern diese willige Organspender sind. Da es jeden von uns bzw. jeden unserer geliebten Menschen treffen könnte, wäre es für jede Gesellschaft wichtig, dass es so viele potenzielle Organspender wie möglich gibt.

Eine vernünftige Entscheidungsarchitektur würde also dazu führen, dass so viele Menschen wie möglich dazu bereit wären, Organe zu spenden, gleichzeitig aber die freie Entscheidung des Einzelnen (zum Beispiel einer Organspende zu widersprechen) bewahrt bliebe und all dies einfach umsetzbar wäre.

Sehen wir uns nun unterschiedliche Entscheidungsarchitektur in verschiedenen Ländern und deren Ergebnisse an.

 

Deutschland

In Deutschland herrscht bezüglich der Einwilligung zur Organspende ein sogenanntes Opt-In System. Das bedeutet, dass in Deutschland ausschließlich solche Personen als Organspender herangezogen werden, die sich selbständig aktiv als solcher registrieren haben lassen.

Dazu muss ein Formular heruntergeladen, ausgefüllt, unterschrieben und abgegeben werden. Danach erhält man einen Organspenderausweis, der die Einwilligung als Organspender bestätigt.

Die Konsequenz dieser Vorgehensweise führt also zu folgender Standardauswahl in Deutschland: Ich will kein Organspender sein (ob bewusst oder unbewusst). Das führt dazu, dass, je nach Quelle, lediglich 36% aller Deutschen potenzielle Organspender sind und das obwohl 81% (!!!) einer Organ- bzw. Gewebespende grundsätzlich positiv gegenüberstehen.

 

USA (ausgesuchte Staaten)

In den USA sind die Gesetze für Organspenden von Staat zu Staat unterschiedlich. Es gibt Staaten, die ein Opt-In-System wie Deutschland verwenden, aber es gibt auch unterschiedliche andere Varianten. Eine Variante, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt hat, ist das verpflichtende Auswahlverfahren. Bei diesem erhält ein Einwohner nur dann ein öffentliches Dokument (Reisepass, Führerschein, Heiratsurkunde), wenn eine Entscheidung bezüglich seiner Einwilligung oder Ablehnung für Organspenden getroffen und hinterlegt wurde.

Wenn also Jack in Illinois mit 16 Jahren seinen Führerschein erhalten möchte, muss er sich entscheiden, ob er potenzieller Organspender sein möchte oder nicht. Die Entscheidung kann jederzeit durch ein einfaches Formular bei fast jeder öffentlichen Behörde geändert werden. Es gibt in Staaten wie Illinois also keine Standardauswahl. Die Bewohner werden zu einer Entscheidung gezwungen.

Das Ergebnis liegt in einer potentiellen Organspenderrate von 60% der Bevölkerung, Tendenz steigend Wie bereits oben erwähnt zeigt sich hier gut, dass die Masse sich dafür entscheidet, was sie glaubt, dass alle anderen entscheiden.

Besonders erwähnenswert dabei ist, dass bei Umfragen vor der Einführung des verpflichtenden Auswahl-Systems 94% der Bevölkerung Organspenden generell befürwortet haben, allerdings nur knappe 40% als Organspender registriert waren.

 

Österreich

In Österreich gibt es bezüglich der Organentnahme die sogenannte Widerspruchslösung. Bei dieser ist die Organentnahme generell immer zulässig, außer der Hirntote bzw. Verstorbene hat zu Lebzeiten ausdrücklich dagegen widersprochen. Der Widerspruch kann dabei informell durch einen mitgeführten Zettel im Ausweis oder mündlich durch die Bezeugung anderer Personen erfolgen. Die höchste Rechtsicherheit bietet die Eintragung in das Widerspruchsregister, das Krankenhäuser vor der Organentnahme konsultieren müssen. Ein solcher Eintrag erfolgt mittels dafür notwendigem Formular bei einer öffentlichen Behörde oder per eingeschriebenen Brief.

Die Standardauswahl für Österreich ist also: Ich bin solange Organspender bis ich dagegen widerspreche (man nennt dies auch Opt-Out-Lösung).

Dies führt dazu, dass 99% aller Österreicher als potenzielle Organspender registriert sind. Nur ein kleiner Bruchteil hat sich mittels Widerspruchsregister dagegen entschieden.

 

Was ist jetzt das beste System? Sehen wir uns noch einmal das Ziel einer möglichen Entscheidungsarchitektur an:

Wie bereits oben erwähnt, würde eine vernünftige Entscheidungsarchitektur also dazu führen, dass „so viele Menschen wie möglich dazu bereit wären, Organe zu spenden, gleichzeitig aber die freie Entscheidung des Einzelnen bewahrt bliebe und all dies einfach umsetzbar wäre.“

Bei diesem Ziel wäre eine Entscheidungsarchitektur , die als Standardauswahl eine Einwilligung voraussetzt, für die Gesellschaft am besten. Das zeigen auch Organtransplantationen: Während Deutschland nur 9,7 tatsächliche Organspender pro Million Einwohner hat, sind es in Österreich 24,3. Warum ein so großer Unterschied zwischen einer Opt-Out-Lösung (Österreich) und einer verpflichtenden Entscheidung (Illinois) liegt, kann ohne Studie nur erahnt werden.

So machen sich der Großteil der Menschen wahrscheinlich keine Gedanken um Organspenden. In Österreich wird es aufgrund der hohen Einwilligung nie zum Thema gemacht und in Deutschland erreichen die Zahlen trotz Werbung und PR nicht mehr als 12-18%. Müssen die Menschen jedoch eine Entscheidung treffen, treffen sie diese kurzfristig und gemäß ihrer Präferenzen (oftmals ohne ausreichende Informationen).

 

Und zu guter Letzt: Wie sieht das jetzt mit dem Rauchen aus?

Auch fürs Rauchen gelten die Bedingungen einer vernünftigen Entscheidungsarchitektur : Die Entscheidungsarchitektur soll die Masse zur richtigen Entscheidung führen, aber dem Einzelnen, ohne großen Aufwand, die Freiheit lassen, sich anders  entscheiden zu können.

Ein totales Rauchverbot widerspricht also dem zweiten Prinzip. Wir lassen jenen, die um jeden Preis im Lokal rauchen möchten, nicht die Wahl, dies zu tun. Wie könnte also eine vernünftige Entscheidungsarchitektur zu diesem Thema aussehen? Hier ein Vorschlag:

 

Wir beginnen mit der Standardauswahl. Jedes Lokal wäre von Haus aus ein Nichtraucherlokal. Damit es zu einem Raucherlokal werden kann, muss es eine Reihe von Auflagen erfüllen:

  • Der Besitzer muss nachweisen, dass eine entsprechende Entlüftungsanlage im Lokal installiert wurde, die dafür sorgt, dass zu keiner Zeit die Grenzwerte für Feinstaub und schädliche Substanzen über ein gewisses Maß steigen. Dazu müssen entsprechende Sensoren an behördlich vorgegebenen Punkten installiert werden. Wird der Wert überschritten, kommt es automatisch zu einer Verwaltungsstrafe.
  • Als Entschädigung für ein gesundheitsgefährdendes Umfeld steigt der Kollektivlohn für sämtliche Angestellte um 40%.
  • Der Besitzer muss nachweisen, dass er und seine Mitarbeiter eine Schulung über die Konsequenzen von Rauchen und Passivrauchen erhalten haben.
  • Es dürfen keine Personen unter 25 Jahren das Lokal aufsuchen.

 

Diese Auflagen würden meiner Meinung nach mehrere Konsequenzen nach sich ziehen:

  • Die meisten Lokalbesitzer würden sich den Aufwand, die Kosten und das damit verbundene Risiko nicht antun. Es gäbe generell wenige Raucherlokale.
  • Die Preise für Getränke und Speisen in Raucherlokalen würde drastisch steigen. So würde ein Getränk das üblicherweise €4,00 kostet in diesem Lokal gute €6,00-9,00 kosten. Das würde viele Kunden, vor allem jüngere, abschrecken. Es würde außerdem einen Gruppendruck Richtung rauchfreier Lokale geben. Die meisten Personen (75%) sind Nichtraucher und würden nicht gewillt sein, aufgrund der Raucher das Doppelte für ihre Getränke zu zahlen. Dennoch könnten Personen denen zum Beispiel eine Zigarette zum Bier wichtig ist, die erhöhten Preise für diese Möglichkeit in Kauf nehmen.
  • Die Atemluft in Raucherlokalen wäre auf Grund der verpflichtenden Verbesserung der Entlüftung und damit verbundenen Kontrollen drastisch besser als bisher. Das bedeutet selbst jene, die sich bewusst dem Passivrauchen aussetzen, würden davon weniger betroffen sein als bisher.

 

Wäre das eine vernünftige Entscheidungsarchitektur ? Ich denke ja. Die Masse würde sich für rauchfreie Lokale entscheiden, könnte sich aber mit wenig Aufwand auch dafür entscheiden, in ein Raucherlokal zu gehen (die höheren Kosten für ein Bier sind beim einmaligen Besuch verkraftbar, auf Dauer jedoch nicht).

Ist es eine perfekte Lösung? Sicherlich nicht. Aber es ist in meinen Augen eine fairere Lösung für diejenigen, die rauchen wollen. Die Mehrheit sollte nicht im Stande sein, einer Minderheit etwas zu verbieten, dass sie selbst nicht oder kaum betrifft (was der Fall ist, wenn die Mehrheit Nichtraucherlokale sind). Entscheidungsarchitektur ist ein mächtiges Werkzeug, das in unserer Gesellschaft und unseren Unternehmen leider noch zu wenig eingesetzt wird.

 

P.S. Wie man eine vernünftige Entscheidungsarchitektur plant und worauf man alles achten muss, ist teil meines Führungskräftetrainings „Souverän entscheiden“, dass du sowohl als digitalen Workshop, wie auch als 1:1 Training absolvieren kannst.

 

– Autor –

Stefan Portrait

Stefan Delano

Gründer von
Delano Training, Coaching & Consulting

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