Mitarbeitergespräche führen

Stellen wir eines klar: Ich halte nichts von Mitarbeitergesprächen.

Ich finde sie, wie sie im Großteil der Fälle heutzutage stattfinden, als destruktiv, nicht zielführend und ein Relikt aus den 90ern.

Bevor du jetzt auf die Barrikaden steigst: Lass mich begründen und eine echte Alternative anbieten.

 

Mitarbeitergespräche oft das Um-und-Auf

Vor zwei Wochen habe ich mich mit dem Personalchef eines mittleren Unternehmen unterhalten.

Er will zwar kein Führungskräftetraining durchführen und seine Führungskräfte brauchen so etwas seiner Meinung nach auch nicht, aber sie müssten lernen, wie man besser Mitarbeitergespräche führt.

Den Rest lernen sie schon so, aber diese Gespräche funktionieren aktuell nicht so richtig und sind doch das wichtigste Feedback.

Mit dieser Haltung steht der gute Mann nicht allein dar: Das Mitarbeitergespräch als Kern der Mitarbeiterführung – so sieht es nach wie vor ein großer Teil der Personaler und Führungskräfte.

 

Was ist ein Mitarbeitergespräch

Zum gegenseitigem Verständnis, was ist überhaupt ein Mitarbeitergespräch (Abkürzung: MAG)?

Es ist ein Termin zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, bei dem die Beteiligten regelmäßig (üblicherweise einmal jährlich) vorgegebene Punkte besprechen (z.B. Zielvereinbarungen, bisherige Leistung, mögliche Weiterbildung, usw.).

Oft orientiert es sich an Personalbögen, Leitfäden, Checklisten und/oder Formularen, die auch als Struktur für die Gesprächsführung durch die Führungskraft dienen. Alternativ wird immer öfter auf softwaregestützte Systeme (meist webbasiert) zurückgegriffen.

Es wird unterschiedlich viel Aufwand für das MAG betrieben. Manche Führungskräfte nehmen sich dafür gerade einmal 30 Minuten Zeit, andere bis zu mehreren Stunden.

Dementsprechend sieht der eine Teil das MAG als lästige Pflicht, die für die HR Abteilung eben erledigt werden muss und der andere Teil den heiligen Gral der Mitarbeiterführung.

 

Vorteile von Mitarbeitergesprächen

Damit wir die Beliebtheit des MAG besser verstehen, sehen wir uns die vermeintlichen Vorteile und Ziele davon an:

  • Abstimmung und Bewertung bisheriger Aufgaben und Ziele
  • Beziehungsaufbau zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter
  • Förderung der Zusammenarbeit
  • Stärkung der Mitarbeitermotivation
  • Förderung des Leistungsbewusstseins, vor allem durch Zielvereinbarungen
  • Austausch über Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten
  • Besprechung und Vereinbarung von Weiterbildungen
  • Feedback und Klärung von Ungereimtheiten seitens des Mitarbeiters

 

Nachteile von MItarbeitergesprächen

Auf den Papier sieht diese Liste großartig aus, wenn wir Mitarbeitergespräche führen. Würden wir alle diese Punkte mit unserem MAG erreichen, dann ist es verständlich, dass es nicht nur ein beliebtes, sondern auch ein effektives Führungswerkzeug wäre.

Es gibt jedoch diesbezüglich mehrere Probleme.

 

Mangelnde Kompetenz

Zunächst verfügen wenige Führungskräfte über ausreichend Kompetenzen, um ein erfolgreiches MAG zu führen.

Zu oft werden wichtige Themen nicht ausreichend besprochen, man driftet im Gespräch ab, es gehen Informationen verloren oder das MAG entwickelt sich ausschließlich zu einer Soll-Aufgabe, die aber schlussendlich mehr schadet als sie nützt.

Diesen Punkt könnte man sehr wohl durch ein bereits erwähntes Training beheben – sofern die jeweilige Führungskraft dazu bereit ist und auch die Disziplin aufbringt, das Trainierte anzuwenden.

 

Mangelnde Regelmäßigkeit und zu hoher Zeitaufwand

Aber selbst mit ausreichend Kompetenzen kommt ein weiteres Problem zu tragen: Der Faktor Zeit.

Betrachten wir z.B. den Punkt Zielvereinbarungen. Die richtigen Zielvereinbarungen zu finden (durch den Mitarbeiter direkt beeinflussbar, ist für den Erfolg wesentlich, betrifft die Haupttätigkeit des Mitarbeiters, usw.) ist an und für sich eine Wissenschaft.

Was aber fast unmöglich ist, sind sinnvolle Zielvereinbarungen zu finden die auf eine Dauer von 12 Monaten, dem üblichen Intervall von Mitarbeitergesprächen, nicht ihre Gültigkeit verlieren.

Wie oft kommt es vor, dass wir z.B. im Oktober ein Ziel für die nächsten 12 Monate vereinbaren, dass bereits im Jänner obsolet ist? Das kann einerseits sein, weil sich der Markt drastisch innerhalb kurzer Zeit verändert (Covid, Ukraine-Krieg, Israel-Krieg, neue Entwicklung usw.) oder andererseits, weil innerhalb des Unternehmens große Veränderungen stattfinden.

Weil aber sehr oft eine finanzielle Vergütung und/oder Karriere-Chancen an der Erreichung der Zielvereinbarungen geknüpft sind, wird stur an diesen festgehalten.

Das bedeutet, hochproduktive Mitarbeiter fokussieren sich auf Ziele deren Erreichen im schlimmsten Fall auf Grund der starken Veränderungen dem Unternehmen sogar schaden (z.B. ein Produktionsziel wird erreicht, aber die Firma kann die produzierte Ware nicht verkaufen und nun ist Kapital und Lagerkapazitäten unnötig gebunden und gegebenenfalls verloren).

Das gleiche Prinzip können wir auch auf die anderen Punkte anwenden. Zu oft werden persönliche Probleme oder Herausforderungen nicht besprochen oder gelöst, weil das Thema „eh beim MAG besprochen wird“. Bis es dazu kommt, sind oft Dinge aber bereits eskaliert.

Dasselbe mit Weiterbildung: Wenn ein Mitarbeiter im Februar erkennt, dass eine Weiterbildung ihm und dem Team massiv dabei helfen würde die gemeinsamen Ziele zu erreichen, warum muss er dann bis Oktober zum MAG warten, bis das Thema besprochen werden kann.

Oder macht es wirklich Sinn, nur einmal jährlich ausführlich Feedback auf seine Arbeit und Leistung zu erhalten?

Jetzt könnte man sagen, dass MAG eben öfter stattfinden müssten und oder dringende Punkte eben auch außerhalb des MAG angesprochen werden sollen.

Das ist richtig, nur geschieht das meiner Erfahrung nach viel zu selten. Im Gegenteil: Zu oft wird bei bei wichtigen Themen das MAG als Ausrede missbraucht, auf das hinausgetröstet wird. So nach dem Motto: Es gibt ja das MAG, da brauche ich mich außerhalb nicht um diese Themen kümmern.

Einer der Hauptgründe für jährliche MAG ohne Revisionen ist, dass die Führungsstrukturen regelmäßigere MAG gar nicht zulassen.

So hat z.B. eine von mir trainierte Führungskraft neben ihrer Vollzeitstelle als Fachkraft 13 Mitarbeiter geführt.

Ein MAG nach den Vorgaben des Unternehmens dauert im Schnitt an die 1,5h.

Das bedeutet, die Führungskraft beschäftigt sich mind. eine halbe Woche pro Jahr mit den MAG, von der zusätzlich anfallenden Dokumentation reden wir noch gar nicht. Bei dem großen Zeitmangel auf Grund der Sachaufgaben und der hohen Mitarbeiterzahl, ist daher bereits die einmalige Durchführung eine enorme Herausforderung – eine mehrmalige undenkbar.

In diesem Fall kommt beides zu tragen: Zu viele Mitarbeiter werden direkt geführt und das MAG ist zu ausführlich ausgestaltet.

Damit kommen wir gleich zum nächsten Kritik-Punkt: Der Umfang des MAG. Oft werden dermaßen viele Punkte in einem einzelnen MAG besprochen, dass man dabei maximal bei ein bis zwei Themen wirklich in die Tiefe geht. Unter dem Rest setzt man dann zwar einen Haken, aber richtig besprochen hat man es nicht.

 

MItarbeitergespräche schaden der Zusammenarbeit

Und schlussendlich noch mein größter Kritikpunkt: Der Fokus aufs Individuum anstelle aufs Team.

Wer mit mir schon einmal zusammengearbeitet hat, weiß, dass ich der Überzeugung bin, dass Zusammenarbeit den größten Mehrwert in Unternehmen schafft.

Alles, was diese Zusammenarbeit behindert, erschwert oder dieser schadet kostet dem Unternehmen unterm Strich Unsummen (in jeglichen Bereich – von Mitarbeitermotivation bis Produktivität).

Und ich bin der Meinung, dass ein MAG der Zusammenarbeitet mehr schadet als es hilft. Schließlich kann der einzelne Mitarbeiter alles richtig machen und das Team trotzdem nicht seine Ziele erreichen – dann ist niemandem geholfen. Der Fokus ist aber auf individuelle Ziele, nicht auf Team-Ziele, ausgerichtet.

Ebenso braucht es nicht individuelle Kompetenzen, sondern die notwendigen Kompetenzen innerhalb des Teams. Diese müssen aufeinander abgestimmt sein – ebenso wie die entsprechenden Aufgaben und Tätigkeiten.

Es kann Prozesse geben, die den einzelnen Mitarbeiter stören, aber für den Teamerfolg wesentlich sind – so etwas geht ebenfalls im MAG verloren und/oder wird eingeschränkt oder schlichtweg falsch kommuniziert.

Summa summarum: Sämtliche Punkte, die im MAG behandelt werden, hätten eine wesentlich größere Relevanz, Sinnhaftigkeit und Effektivität, wenn sie stattdessen im Team besprochen und verbessert werden würden.

 

Und dafür gäbe es eine großartige Alternative: Das Teamgespräch (TG)

Ein Teamgespräch findet ähnlich statt wie ein MAG, aber mit dem gesamten Team. Dafür aber auch länger und im besten Fall von einer externen Person moderiert.

Diese kann dafür sorgen, dass es keine persönlichen Verwerfungen gibt und gut durch den Tag führen (am Ende des Tages darf es keine Verlierer geben).

Dabei sollten unter anderem folgende Fragen geklärt werden:

  • Wie gut haben wir als Team unsere Ziele erreicht?
  • Was ist gut gelaufen, was schlecht? Was hätten wir als Team anders machen können?
  • Welche Skills fehlen uns als Team? Wer könnte/möchte diese Skills erlernen?
  • Welchen Wert schaffen die Mitglieder für den jeweils anderen?
  • Welche Probleme löst jedes Mitglied innerhalb des Teams?
  • Wo gibt es Engpässe?
  • Was können wir anpassen, was nicht?
  • Wie gehen wir im Berufsalltag miteinander um? Ist das hilfreich für unsere Zielerreichung?
  • Wie erfolgt unsere Zusammenarbeit, wie die Zusammenarbeit mit den anderen Teams?
  • Welche Strukturen sollten wir schaffen, damit wir als Team effektiver sind?

 

Das TG fördert dabei nicht nur nachweislich die Zusammenarbeit anstelle dieser zur schaden wie das MAG, es ist auch wesentlich effektiver bei der Umsetzung der besprochenen Punkte, weil diese auf einer Ebene angesprochen und gelöst werden – dem Team – das den notwendigen Handlungsspielraum dafür hat.

Auch macht es wesentlich mehr Sinn, ein Team für die gemeinsame Zielerreichung zu belohnen anstelle von individuellen Zielvereinbarungen (was außerdem auch weniger Aufwand bedeutet). Schließlich ist meist ohnehin unmöglich, den Erfolg auf unterschiedliche Einzelleistungen aufzudividieren.

Zusätzlich ist ein Teamgespräch wesentlich effizienter als 5-10 individuelle MAG durchzuführen und bietet sich daher auch an, mehrmals im Jahr stattzufinden – und die offiziellen MAG dafür einzustampfen. Damit löst man auch das Problem rascher Veränderung.

 

„Aber Stefan, heißt das, dass ich mit meinen Mitarbeitern nie mehr einzeln sprechen sollte?“

NATÜRLICH NICHT.

Aber anstelle die Punkte einmal im Jahr mit großem Gedöns und Aufwand zu besprechen, ist es wesentlich sinnvoller, regelmäßig kurze, aber zielgerichtete informelle Gespräche zu den einzelne Themen zu führen. So bleibt man am Puls der Zeit, handelt, wenn es gerade notwendig ist und gibt und erhält Feedback zeitnah.

Wie diese informellen Gespräche aussehen sollen und warum sie so wichtig sind, ist ein Kapitel, dass ich in meinen Trainings immer bearbeite, hier aber den Rahmen sprengen würde.

Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass es mir gelungen ist, dass du die Sinnhaftigkeit von MAG in der aktuellen Form zumindest in Frage stellst und im besten Fall anpasst.

Es gibt schließlich nicht DIE EINE LÖSUNG, sondern mehrere.

Aber jene, wie der Großteil der Mitarbeitergespräche aktuell stattfindet, gehört höchstwahrscheinlich nicht dazu.

So long,

Stefan

– Autor –

Stefan Portrait

Stefan Delano

Gründer von
Delano Training, Coaching & Consulting

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